Zeugnisanalyse
Dr. Huber ist Verfasser der Zeugnisratgeber Das Arbeitszeugnis in Recht und Praxis und
Mein Arbeitszeugnis sowie Fachautor des Programmes Arbeitszeugnisse.
Über den Geheimcode wird viel gerätselt und geschrieben. Sicher ist, daß ein Geheimcode im Sinne einer geheimen
Vereinbarung über die Codierung von Arbeitszeugnissen nicht existiert. Dennoch hat sich bei der Zeugnisformulierung eine
Zeugnissprache entwickelt, die teilweise vom allgemeinen Sprachgebrauch abweicht und dadurch teils schwer, teils nicht
verständlich ist oder irreführenden Charakter hat für Zeugnisleser, die sich mit der Zeugnissprache nicht befaßt haben. Dies
geht allerdings nicht auf eine geheime Absprache zurück sondern ist Ergebnis eines Entwicklungsprozesses.
Angesichts des in der Rechtsprechung aufgestellten Grundsatzes der wohlwollenden Zeugniserteilung fühlen sich viele
Zeugnisaussteller verpflichtet, wohlwollende Zeugnisse auszustellen, auch wenn ein gutes Zeugnis nach den Leistungen und
dem Verhalten eines Arbeitnehmers nicht gerechtfertigt ist. Über die tatsächlich schlechtere Beurteilung soll der künftige
Arbeitgeber jedoch auch nicht getäuscht werden. Es werden deshalb möglichst gut klingende Formulierungen verwandt,
wobei der Zeugnisaussteller die kritischen Punkte nicht erwähnt. Da er davon ausgehen kann, daß der potentielle Arbeitgeber,
der ebenfalls über vielfältige Erfahrungen beim Lesen und Formulieren von Zeugnissen verfügt, diese Auslassungen erkennt,
kann er mit abgestuft positiven Formulierungen auf Leistungsmängel und Mängel im Verhalten hinweisen. Um ein Zeugnis
sachgemäß zu analysieren, ist deshalb auf folgendes zu achten:
Obwohl die Tätigkeitsbeschreibung keine Leistungsbeurteilung darstellt, kommt ihr in dem Arbeitszeugnis eine wichtige
Bedeutung für die Leistungsbeurteilung zu. Wenn in der Leistungsbeurteilung gute oder sehr gute Leistungen bescheinigt
werden, in der Tätigkeitsbeschreibung jedoch lediglich einfache oder unwichtige Aufgaben angegeben sind, ist die gute
Leistungsbeurteilung wenig wert. Bei der Analyse muß deshalb darauf geachtet werden, ob in der Tätigkeitsbeschreibung die
Tätigkeit mit den typischen Merkmalen so vollständig und genau angegeben wird, daß sich ein fachkundiger Dritter über den
Aufgabenkreis objektiv informieren kann. Dabei ist darauf zu achten, daß lediglich die wesentlichen Aufgaben angeführt sind
und Details oder unwichtige Aufgaben nicht oder nur am Rande erwähnt werden.
Wenn unwichtige oder einfache Nebenaufgaben gegenüber den bedeutsamen Hauptaufgaben betont oder vorangestellt sind,
ergibt sich im Klartext die Bewertung, daß der Arbeitnehmer mit den wesentlichen Hauptaufgaben überfordert gewesen ist.
Ein wichtiges Indiz für gute Leistungen ist auch, wenn dem Arbeitnehmer bestätigt wird, daß er sich im Laufe des
Beschäftigungsverhältnisses fortentwickelte und bedeutsamere Aufgaben übernahm. Dies ist ein deutlicher Hinweis darauf,
daß die Aufgaben jeweils gut bewältigt wurden und dem Mitarbeiter jeweils anspruchsvollere Aufgaben übertragen werden
konnten, die er wiederum gut erfüllte.
Die schwierigste Aufgabe bei der Analyse eines Arbeitszeugnisses ist die zutreffende Ermittlung der Leistungsbeurteilung.
Dies liegt daran, daß die Zeugnissprache nicht in allen Punkten eindeutig ist. Die Formulierungsskala für die
zusammenfassende Leistungsbeurteilung ist zwischenzeitlich zwar allgemein bekannt. Die differenzierten Kenntnisse und
Fähigkeiten eines Arbeitnehmers lassen sich alleine durch die zusammenfassende Leistungsbeurteilung jedoch nicht
ausdrücken. Ohne aussagekräftige Einzelbeurteilungen ist die Benotung, die in der zusammenfassenden
Leistungsbeurteilung enthalten ist, deshalb nicht viel wert. Generell kann gesagt werden, daß die Bedeutung der
Leistungsbeurteilung wächst, je detaillierter auf einzelne Leistungskriterien eingegangen wird. Dabei ist die
Formulierungspraxis der abgestuft positiven Formulierung mit bewußten Auslassungen als beredtes Schweigen zur
Vermeidung auffällig ungünstiger Aussagen zu berücksichtigen. Als Standardformulierung für zusammenfassende gute
Leistungsbeurteilung hat sich die Formulierung "stets zur vollen Zufriedenheit" eingebürgert. Ohne das Zeitwort "stets" oder
"jederzeit" wird ausgedrückt, daß die guten Leistungen nicht immer vorhanden waren, was der Note "befriedigend"
entspricht. Wenn lediglich "zufriedenstellende Leistungen" bescheinigt werden, wird dies als "ausreichend" verstanden.
Unzureichende Leistungen werden ausgedrückt mit "war bemüht", "zeigte Interesse", "hat unseren Erwartungen
entsprochen", "zeigte Verständnis für seine Arbeit" oder ähnlichem. Sehr gute Leistungen werden ausgedrückt mit
Formulierungen wie "stets zu unserer vollsten Zufriedenheit", "jederzeit zu unserer außerordentlichen Zufriedenheit". Wichtig
ist bei der Leistungsbeurteilung allerdings, daß diese sogenannte zusammenfassende Leistungsbeurteilung durch die
Bewertung einzelner Fähigkeiten oder Kenntnisse bestätigt wird.
Bei der Beurteilung der persönlichen Führung, d.h. des Sozialverhaltens haben sich folgende Standardformulierungen
entwickelt:
Sehr gute Beurteilung:
Sein persönliches Verhalten war stets vorbildlich. Herr/Frau ... ist allseits anerkannt und geschätzt.
Gute Beurteilung:
Sein/Ihr persönliches Verhalten war stets einwandfrei.
Befriedigende Beurteilung:
Sein/Ihr persönliches Verhalten war einwandfrei.
Ausreichende Beurteilung:
Sein/Ihr Verhalten war höflich und korrekt.
Unzureichende Beurteilung:
Das persönliche Verhalten war nicht frei von Beanstandungen.
Bei der Verhaltensbeurteilung kommt es entscheidend auch darauf an, ob die attestierte Beurteilung generell gilt, oder ob
bestimmt Personen oder Personengruppen von der Beurteilung ausgenommen werden:
Beispiel:
Sein/Ihr persönliches Verhalten gegenüber Kollegen war stets einwandfrei.
Hier fehlt die Beurteilung des Verhaltens gegenüber Vorgesetzten und - wenn Kontakt mit Geschäftspartnern, z.B. Kunden
bestand - auch gegenüber den Kunden oder sonstigen Geschäftspartnern. Dies ist als Hinweis zu verstehen, daß das
persönliche Verhalten gegenüber Vorgesetzten und Geschäftspartnern zu beanstanden war.
Eine ungünstige Beurteilung kann auch versteckt dadurch zum Ausdruck kommen, daß bei der Beurteilung des persönlichen
Verhaltens der in Frage kommende Personenkreis vollständig angegeben wird, jedoch nicht in der Reihenfolge, die der
jeweiligen Bedeutung entspricht:
Beispiel:
Sein/Ihr Verhalten gegenüber Kollegen, Geschäftspartnern und Vorgesetzten war stets einwandfrei.
Mit dieser Formulierung wird entgegen dem Wortlaut ausgedrückt, daß das Verhalten gegenüber Vorgesetzten nicht
einwandfrei war und dem Arbeitnehmer der Umgang mit Kollegen und Geschäftspartnern wichtiger war als das einwandfreie
Verhalten gegenüber Vorgesetzten.
Der Schlußformulierung in einem Arbeitszeugnis kommt eine erhebliche Bedeutung bei der Benotung zu. Eine
Schlußformulierung kann eine vorangegangene gute Beurteilung bekräftigen oder in Frage stellen und damit entwerten.
Ein wesentlicher Punkt, der in der Schlußformulierung aufzunehmen ist, besteht in der Aussage, wer das Arbeitsverhältnis
beendete. Wenn das Arbeitsverhältnis durch eine Kündigung des Arbeitnehmers erfolgte, hat der Arbeitnehmer einen
Anspruch darauf, daß dies in der Schlußformulierung bescheinigt und angegeben wird, daß das Arbeitsverhältnis auf seinen
Wunsch endete. Ohne diesen Hinweis auf die Eigenkündigung des Arbeitnehmers wird vermutet, daß dem Arbeitnehmer das
Arbeitsverhältnis vom Arbeitgeber gekündigt wurde.
Die Wertschätzung eines Arbeitnehmers, die in der vorangegangenen Leistungs- und Verhaltensbeurteilung mit einer guten
Benotung zum Ausdruck kam, kann in der Schlußformulierung bekräftigt werden mit der sogenannten Dankes- und
Bedauernsklausel. Mit der Bedauernsklausel wird zum Ausdruck gebracht, daß dem Arbeitnehmer die Kündigung nicht
nahegelegt wurde sondern es sich um einen guten Mitarbeiter handelte, dessen Ausscheiden bedauert wird. Außerdem kann
mit einem Dank für die geleistete Arbeit zum Ausdruck gebracht werden, daß der Arbeitnehmer gute Arbeitsleistungen
erbrachte.
Beispiel:
Herr Meier scheidet auf eigenen Wunsch aus unserem Unternehmen aus. Wir bedauern seine Entscheidung, danken ihm für
seine Tätigkeit und wünschen ihm weiterhin viel Erfolg und persönlich alles Gute.
Dies stellt eine uneingeschränkt gute Beurteilung in der Schlußfromulierung dar.
Weniger gut wäre folgende Schlußformulierung:
Herr Meier scheidet auf eigenen Wunsch aus unserem Unternehmen aus. Wir danken ihm für seine Arbeit und wünschen ihm
für die Zukunft alles Gute.
Ungünstig ist folgende Formulierung:
Herr Meier scheidet mit dem heutigen Tag auf eigenen Wunsch aus unserem Unternehmen aus. Wir wünschen ihm für die
Zukunft alles Gute.
Hier wird zwar das Ausscheiden auf eigenen Wunsch bestätigt. Es fehlt jedoch das Bedauern sowie der Dank für die
geleistete Tätigkeit. Unter Berücksichtigung dieser Umstände kann angenommen werden, daß das Ausscheiden von Herrn
Meier gerne gesehen wird und die Zukunftswünsche bedeuten, daß der Arbeitnehmer gute Wünsche nötig hat.
Fazit:
Ein Arbeitszeugnis kann nicht aufgrund einzelner Aussagen oder der zusammenfassenden Beurteilung der Leistung und des
persönlichen Verhaltens alleine beurteilt werden. Das Zeugnis muß vielmehr als Ganzes einer Analyse unterzogen werden.
Einzelne Aussagen können durch den Gesamteindruck, den das Zeugnis vermittelt, relativiert oder in das Gegenteil verkehrt
werden. Entscheidend ist die Aussage, die das Zeugnis im Gesamtzusammenhang vermittelt.
Hierbei ist maßgeblich, ob in dem Zeugnis ein eher aktiver oder passiver Eindruck vermittelt wird. Wichtig ist auch, ob
überflüssige oder mehrdeutige Formulierungen im Zeugnis enthalten sind. Da jeder Zeugnisleser im Zeugnis nach
Andeutungen sucht, um etwaige Probleme eines Arbeitnehmers, die im Zeugnis nicht klar zum Ausdruck kommen sollten, zu
erkennen, sind überflüssige, unklare oder mehrdeutige Formulierungen problematisch und führen dazu, daß gute
Leistungsbeurteilungen in Frage gestellt und Nachfragen beim Zeugnisaussteller nahegelegt werden.
Beispiel:
Wir haben Herrn Meier als guten Mitarbeiter kennengelernt.
Hier ergibt sich die Frage, was die Formulierung "als guten Mitarbeiter kennengelernt" bedeuten soll. Wenn Herr Meier als
guter Mitarbeiter beurteilt werden soll, ist die Formulierung im Zeugnis, "Herr Meier ist ein guter Mitarbeiter", klar und
eindeutig. "Kennengelernt" ist überflüssig und kann die Einschränkung enthalten, daß Herr Meier als guter Mitarbeiter
kennengelernt wurde, überwiegend jedoch kein guter Mitarbeiter war.
Ähnliches gilt für Formulierungen wie "bestätigen" oder "bescheinigen". Derartige Formulierungen sind in einem Zeugnis, das
kurz gefaßt und klar sein soll, überflüssig und provozieren die Frage, weshalb dieser überflüssige Formulierungsstil gewählt
wurde.
Zu achten ist auch auf einschränkende Relativierungen.
Beispiel:
Die Aufgaben, die wir ihm übertrugen, erledigte er zu unserer vollen Zufriedenheit.
Hieraus kann gefolgert werden, daß dem Arbeitnehmer Aufgaben jeweils übertragen werden mußten und er von sich aus
Aufgaben nicht selbständig bewältigte und keine Eigeninitiative zeigte.
Einschränkend und damit abwertend sind auch Wort wie "dabei" und "auch".
Beispiel:
Er hatte auch Erfolg.
Damit wird gegenüber der klaren Beurteilung "Herr Meier war ein erfolgreicher Mitarbeiter" suggeriert, daß der Erfolg nicht
ausreichend war. Ähnlich subtil kann mit dem Wort "dabei" zum Ausdruck gebracht werden, daß der Erfolg nur bei bestimmten
Tätigkeiten eingetreten ist.
Beispiel:
Daneben war er mit der Einführung eines internen EDV-Programmpaketes zur Optimierung unserer Kundenstatistik befaßt.
Dabei hatte er große Erfolge zu verzeichnen.
Da sich die großen Erfolge nur auf die Einführung eines internen EDV-Programmpaketes beziehen, kommt zum Ausdruck,
daß ansonsten keine großen Erfolge erzielt wurden.
Um den Gesamteindruck eines Zeugnisses zu analysieren, können Sie folgende Checkliste verwenden:
1. Sind Widersprüche im Zeugnis enthalten, die klärungsbedürftig sind und gute Beurteilungen in Frage stellen?
2.Erweckt das Zeugnis den Eindruck, daß der Zeugnisaussteller wohlwollend war oder die Zeugnisausstellung nur als lästige
Pflicht ansieht?
3.Ist das Zeugnis formal ordnungsgemäß, d.h. ohne Schreibfehler, auf ungefaltetem Firmenbogen und optisch ansprechend
gestaltet?
4.Mit Schreibfehlern behaftete oder optisch mißgestaltete Zeugnisse legen den Schluß nahe, daß der Arbeitnehmer vom
Arbeitgeber so gering geschätzt wird, daß er sich nicht darum bemüht, ein orthographisch fehlerfreies oder ein optisch gut
gestaltetes Zeugnis auszustellen.